»Wir müssen da herauskommen« »Ja«, antwortete er. »Ich glaube, wir kennen uns von irgendwo.« »Das sagst du nur so.« »Du wirst dich sicher nicht mehr erinnern können. Das ist lange her.« Ich erzählte ihm, wo es gewesen war. Jetzt, im Stadion, trug er eine Wildlederjacke in einer merkwürdigen Farbe, zwischen grün und kaffeebraun. Sein Gesicht war geschwollen und entstellt. Die Gruppe, in der wir uns befanden, war die der »Gefährlichen«, obwohl er, soviel ich weiß, an keiner Widerstandsaktion teilgenommen hatte. Ich fragte ihn, wie sie ihn behandelt hätten. »Sehr schlecht«, antwortete er. Er hob das Hemd hoch. In der Magengegend waren große blaue Flecken zu sehen. »Es steht ziemlich schlecht um uns«, sagte ich. »Mehr oder minder«, sagte er fast zuversichtlich, geradeso, als glaubte er nicht, daß die Dinge zu schlecht ständen. »Wir sind schlecht dran, aber wir werden da herauskommen. Wir müssen da herauskommen.« Seit Mittwoch war er im Stadion, und sie hatten ihn alle Tage geschlagen. Ich bemerkte etwas unter seinem Auge. Ich konnte nicht genau erkennen, ob es Pflaster oder ein Stückchen Zigarettenpapier war. Es war zwei Uhr morgens und schrecklich kalt. Offenbar sollten wir hier die Nacht verbringen. »Kamerad«, sagte er zu mir, »du hast eine Decke – könnten wir sie nicht teilen? Man muß sich zudecken, um ein wenig Energie zu bewahren.« Ich entgegnete: »Selbstverständlich.« Der Boden war mit Fliesen bedeckt, und da überall in den Ecken haufenweise Papier lag, holten wir es uns her und legten es auf den Boden, als Kissen. Es waren Plakate und Flugblätter der Volksregierung, die während der Durchsuchungen mitgenommen worden waren. Wir legten uns hin, als Offiziere kamen und uns befahlen, aufzustehen. Es war vielleicht zwei Uhr zwanzig. Wir mußten uns in Gruppen aufstellen, und dann brachten sie uns nach innen. Im linken Gang mußten wir warten. Es gab ein großes Hin und Her im ganzen Stadion. Ich sah die Gruppe der wichtigen Personen, wo die Minister Flores und Godoy waren, und der Professor Mario Cespedes. Dann befahlen sie uns, nach draußen auf die Straße zu gehen. Wir wurden ins Nationalstadion gebracht. An der Tür sagte ein hoher Offizier zu Victor: »Sie, Jara, bleiben hier. Sie werden uns noch etwas singen.« Er antwortete: »Gut, was soll ich singen?« »Sie bleiben hier stehen! Wir werden schon noch sehen, was Sie uns singen werden.« Wir sahen ihn nicht wieder. Die Nachricht von seinem Tode erfuhren wir erst viel später, im Nationalstadion. Ich erinnere mich, daß wir alle, die wir mit ihm in jener Nacht im Estadio Chile waren, schockiert waren. Seinetwegen, aber auch unseretwegen, denn wir alle dachten: Wir waren in der gleichen Gruppe, alle mit der gleichen »Gefährlichkeit« eingestuft. Ihn hatten sie umgebracht, obwohl nichts anderes gegen ihn vorlag, als daß er ein progressiver Sänger und Komponist gewesen war. Was würden sie also mit uns tun? Ich sprach mit einem Angestellten der Technischen Universität, der als einer der letzten an jenem Morgen aus dem Stadion gebracht worden war. Er sagte mir, daß er nicht sonderlich überrascht war, als er hörte, daß sie ihn ermordet hatten. Als er aus dem Stadion gekommen war, das war gegen vier Uhr morgens, lag Jara auf dem Boden, und es war zu sehen, daß sie ihn bestialisch geschlagen hatten. In einer offiziellen Erklärung hieß es später, daß
er in einem Arbeiterviertel tot aufgefunden worden sei. Die Zeitungen
versuchten den Eindruck zu erwecken, er sei bei einem Schußwechsel
getötet worden. |
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