In den Krallen des Kondors.

Wie die lateinamerikanischen Diktaturen den Staatterror koodinierten

Von Josef Oehrlein in der Frankfurter Allgemeine Zeitung - 14 Juli 2001

Buenos Aires, 13 Juli. Der frühere argentinische Juntachef Rafael Videla ist der erste lateinamerikanische Diktator, dem wegen seiner Beteiligung am "Plan Cóndor" der Prozeß gemacht wird. Mit der Geheimoperation wollten die Militärregierungen von Argentinien, Chile, paraguay, Uruguay, Brasilien und Bolivien in den siebziger und achtziger Jahren Regimegegner in allen Mitgliedländern ausschalten und sich gegen die "internationale terroristische Agression" zur Wehr setzen, wie es in einem Schriftstück der argentinischen Präsidentschaft vom 18 September 1979 heißt. Bundesrichter Rodolfo Canicoba hat in Buenos Aires gegen den fast 76 Jahre alten Videla wegen Beteiligung an einer "illegalen Vereinigung in schwerer Form" Anklage erhoben, gegen ihn Vorbeugehaft verhängt und die Beschlagnahme von ungerechnet etwa 2,3 Millionen Mark aus seinem Privatvermögen angeordnet. Wegen der Entführung von säuglingen während der Diktatur, die Gefangenen nach der Geburt vermutlich weggenommen wurden, steht Videla seit Juni 1998 unter Hausarrest. In der Sache "Plan Cóndor" hat er schon bei einem Gerichttermin am 20. Juni die Aussage verweigert. Am 17. August soll er nochmals verhört werden. Die argentinische Justiz hat inszwischen die auslieferung von Pinochet und Stroessner beantragt, den ehemaligen Dikataroen Chiles und Paraguays. Haftbefehle sind auch gegen den wegen anderer Vergehen verurteilten und unter hausarrest stehenden früheren Chef der chilenischen Geheimpolizei Dina, manuel Contreras, gegen drei urugayische Offiziere sowie gegen einen ehemaligen Polizeiagenten Uruguays erwirkt worden. Stroessner genießt in Brasil ein politisches Asyl, die Justiz in paraguay verlangt allerdings schon seit längerem seine Überstellung. Fundament der Anklage des Richters Canicoba ist Dokumentationsmaterial, das die Existenz des "Plan Cóndor" bestätigt, obwohl die einstigen Machthaber bestreiten, daß es ein derartiges Konzept für die Verfolgung von Regimegegnern gegeben habe. Die Unterlagen entstammen den sogenannten "Terror-Archiven", die nach 15 Jahren Suche in Dezember 1989 im Justizpalast der paraguayischen Hauptstadt Asunción gefunden wurden. Die Schriftstücke enthalten Details darüber, wie der Staatsterror zwischen den "Cóndor-Ländern" koordiniert qurde. Martin Almada, Professor für Menschenrechte an der Universität Knasas und Opfer der Verfolgung in Paraguay, hat die Dokumente zusammengetragen. Er sei der Existenz des "Plan Cóndor" spätestesns in dem Augenblicks gewahr geworden, als einer seiner Folterer in Asunción sagte: "Sie sind in den Krallen des Kondors." Der frühere chilenische Geheimdienstchef Contreras hat laut Almada den "Plan Cóndor" in Santiago de Chile auf einer Sitzung von 25 Novemeber bis 1. Dezember 1975 vorgestellt, an der Vertreter der Länder des "Cono Sur", der Südspitze des süd-amerikanischen Subkontinent, teilnahmen. Sein Vorbild sei Interpol in Paris gewesen. An dem Plan seien CIA und FBI, die Spionagebehörde der argentinischen Regierung und die paramilitärische Organisation "Triple A" (Antikommunistische Allianz Argentiniens) beteiligt gewesen. Contreras habe ein System entwickelt, mit dem Daten über militante Linke in der vrschiedenen Ländern gesammelt und ausgestauscht werden konnten, um sie zu "eliminieren". Davon habe General Vernon Walters, seinerzeit stellvertretender Direktor der CIA, im August 1975 erfahren. Das FBI hat angeblich mit den Militärregierungen zusammengearbeitet und ihnen technische Hilfsmittel für den Informationsaustausch zur Verfügung gestellt.l In einem der "Cóndor"-Schriftstücke ist die Rede von der Notwendigkeit einer effizienten Zusammenarbeit der Spionagedienste zwischen Argentinien und Paraguay. Er gab "Trainingskurse" für Spionage und Spionageabwehr, Subversion und Terrorismus. In einem Dokument heißt es: "Operation Cóndor" ist ein Schlüsselwort für das Sammeln und den Austausch (von Informationen) über sogenannte Linke, Kommunisten oder Marxisten". Die Zusammenarbeit erstrekte sich offenbar über drei Etappen - vom Ausstausch der Spionage-Informationen über die Lokallisierung des, wie es damals hieß, "subversiven oder terroristischen Elements" bis zur Ermordung oder Vrschleppung des Opfers in einer der "Cóndor"-Länder. Als die ersten Einzelheiten über das Terrornetz bekannt wurden, bezeichneten es argentinischen Juristen als "die größte kriminelle Organisation" die es je in der lateinamerikanischen Geschichte gegeben habe. Im Jahr 1976 machte Maxwell Chaplin, zwieter Mann an der Botschaft der Vereinigten Staaten in Argentinien, den damaligen amerikanischen Außenminister Henry Kissinger darauf aufmerksam, daß "die Zahl der illegal Festgenommennen bereits in die Tausende geht; viele wurden gefoltert und ermordet", darunter hätten sich viele Unschuldige, Katholische Priester oder Flüchtlinge aus Chile und Uruguay befunden. Für Videla wird es nach der neuerlichen Anklage immer ungemütlicher. Seine Anwälte hatten sich auf ein Urteil der Bundeskammer berufen, die die Befehlshaber des Heeres während der Diktatur bereit 1985 verurteilt hatte und festlegte, daß "sie nicht noch einmal wegen Aktivitäten, die im Zusammenhang mit ihren Aufgaben als Befehlshaber der verschiedenen Heeresgattungen stehen, verfolgt werden können". Damals war Videla wegen Mordes in 66 Fällen, illegaler Freiheitsberaubung in 306 Fällen, Folter in 93 Fällen und Raub in 26 Fällen zu lebenslanger haft verurteilt worden, auf Grund der vom damaligen Präsidenten Carlos Menem verfügten Amnestie jedoch im Jahr 1990 freigelassen worde. Eine Aufhebung des Hausarrests shcien in greifbare Nähe gerückt. Doch Videla ist nun als früherer Präsident und damit politisch Verantwortlicher Angeklagt, nicht in der Funktion eines militärischen Oberbefehlhabers, als der er schon verurteilt wurde. Damit kann er vermutlich abermals juristisch voll zur Regenschaft gezogen werden. Die Vereinigung der "Großmütter der Plaza de Mayo" kündigte an, sie werde sich an die Interamerikanische Komission für Menschenrechte wenden, falls der Oberste Gerichthof den gegen Videla verhängte Hausarrest aufheben sollte. Der neuerliche Prozeß wurde auf Klagen der Angehörigen von fünf Opfern eröffnet, die in Argentinien entfüht wurden und bisher als "verschwunden" gelten. Es soll mindestens 80 ähnliche Fälle von Staatsbürgen der Nachbarländer gegeben haben, die in Argentinien Zuflucht gesucht hatten.